Weltbekannte Könner wagen Ungewöhnliches
Das letzte der vier dies- jährigen Herbst-Orgelkonzerte in St. Gebhard in Petershausen setzte einen besonderen Glanzpunkt. Zwei Musiker, die sich gut kennen, wagten Überraschendes: eine große Kirchenorgel und einen Konzertflügel im Duett zu vereinen. Nikolaj Leo Strauss, gebürtiger Friedrichshafener (Klavier), und der Schwarzwälder Roland Uhl (Orgel), beide weitbekannte Könner als Organisten, Pianisten und Chorleiter. Befragt, warum sie gerade dieses von fingerbrecherischen Passagen gerade- zu überbordende 2. Klavierkonzert von Franz Liszt aufführen wollten, antwortete der Pianist schlicht: „Das ist mir einfach so eingefallen“.
Zunächst aber hörten die Zuhörer Orgel und Klavier getrennt: Roland Uhl holte aus der Gebhardsorgel in vier Charakterstücken von Joseph Haas eine breite Palette überraschender Klänge und Klangfarben heraus, mal volltönig, mal geheimnisvoll, mal auf- brausend, und immer voll Spannung im spätromantischen Werk, das auch eine kleine Sinfonie vom Präludium bis zum Capriccio-Finale sein könnte. Nikolaj Leo Strauss ergänzte am Flügel mit landschaftsbezogenen Titeln von Franz Liszt – auch sie Charakterstücke, Miniaturen, hier mit Bezug zu seinen Schweizer „Pilgerjahren“: Wellenbewegung am Walensee, Sehnsuchtsmelodie im Heimweh und rauschender Glockenklang aus Genf. Ungewöhnlich dabei, einen Konzertflügel nicht in trockener Saalakustik zu hören, sondern im weichzeichnenden Nachhall eines Kirchenraums. Noch ungewöhnlicher und zugleich Hörhilfe war in der Gebhardskirche der Einsatz einer Video-Großleinwand: Wie die Klangvarianten der Orgel entstehen, zeigte optisch der Wechsel zwischen den drei Manualen; wie Basslinien gezeichnet werden, sah man beim Blick auf die Füße des Organisten, der selbst aber nur selten nach unten schaute.
Mit Spannung erwartet: Franz Liszts 2. Konzert für Klavier und Orchester. Die Künstler spielten die Fassung für zwei Klaviere und Roland Uhl wusste die Partitur um das Orgelpedal zu er- weitern. Zuvor hatten sie Zusammen- spiel und -klang ihrer Instrumente akribisch aufeinander abgestimmt. He- raus kam ein homogener Gesamtklang, einem großen Orchester geschickt ab- gelauscht: Man glaubte, neben aller Orchesterklangbreite die Oboe singen, die Flöten brillieren und das Blech dröhnen zu hören. Wie ungeheuer die virtuosen Anforderungen an das Klavier- Orgel-Duo waren, war zu hören – und zu sehen. Dieses eigentlich einsätzige, hochromantische Halbstundenwerk war festliche Krönung der herbstlichen Orgelkonzertreihe und der spontan stehend gegebene Applaus aus fast voller Kirche lang. Das Publikum bekräftigte: ein spektakuläres „Orgel Plus“- Konzert mit besonderen Musizier- und Duettierkünsten!
SÜDKURIER Konstanz, 08.11.2021
Von Reinhard Müller